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Olga Titus
Olga Titus’ works are a multiverse of images and an answer to the question how painting can assert itself within contemporary habits of scrolling through, swiping, and scanning across screens, through sheer endless amounts of pictures, readily accessible and available as they are: at the touch of a finger. Her often large scale canvases are covered with sequins like the metal thread in historic tapestry. The front and back of the sequins are of different color which leads to innumerable variations, her random strokes resulting in temporary motif moments, each of them with the potential of evoking an alternate experience. Every drawing move her hand makes on their surface causes the sequins to rustle, exposing the inherently sensual and positively obsessive quality of the sound accompanying the movement, the feeling of gentle resistance when the tiny plates are turned around. |
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DIGITAL OPENING with a live radio broadcast from the exhibition on 26/10/21 from 19 to 20 hrs with Kristen Roos in collaboration with Lumpen Station. Sound art composed on vintage music software and insights from Kristen Roos hosted by Andrea Marioni. Podcast on www.lumpenstation.art
Live and in person performance at the Digital Arts Festival Zurich (DA-Z) on 28/29 October 2021, 19 hrs at Kunstraum Walcheturm.
The exhibition is accompanied by an artist's zine designed by Kristen Roos.
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Fair Art Fair 2021
Kunstmarkt der anderen Art auf dem Parkplatz
Das Projekt des Kollektivs Streunender Hund widmet sich im Mai 2021 dem Zusammentreffen von Offspaces und Projekträumen aus der ganzen Schweiz und Umgebung. Die Eingeladenen erhalten die Möglichkeit, sich und ihre Organisationen vor- und auszustellen. Der Austausch der Offspaces untereinander steht genauso im Fokus wie die Interaktion mit dem Publikum. Der Kunstmarkt der anderen Art findet auf einem grossen Parkplatz neben dem Wasserfall Strahlholz statt.
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The project of the collective Streunender Hund is dedicated to the get together of offspaces and project-rooms from all over Switzerland and the surrounding area in May 2021. The invited have the opportunity to present themselves and their initiatives. The exchange between the offspaces is just as much a focus as the interaction with the audience. The art fair of a different kind takes place in a large parking lot next to the Strahlholz waterfall.
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Andy Storchenegger
Andy Storchenegger's artistic practice engages with issues of cultural connotation and alienation. His fascination for the «wild» and «primitive» preserved in archaic customs of ancient cultures and local Swiss traditions has led him to field trips to the South Pacific, South America, and Africa. In his artworks a synthesis of similar formal aspects found in different cultures culminates. Ritual masks are often a starting point for his own sculptures. While the traditional masks themselves serve as pieces of art, they function on a much higher level within the social ethos of the community. The masks are a necessary component of a social, intellectual and artistic whole. In Storchenegger’s pieces the essence of a universal idea transforms into a new depiction, where often a slight shift in colour or chosen material alienates the piece from its supposedly original intention. Through this change of parameters a variety of different associations opens up. It allows a direct connection and an individual reading of the work on the backdrop of one's own cultural identity.
The exhibition is accompanied by a fanzine.
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YOU'VE GOT MAIL
Tatsächlich wurde der Begriff „Mail Art“ relativ spät von Edward M. Plunkett, einem Teilnehmer der New York Correspondence School, geprägt. Von ihm stammt die vielzitierte Aussage, dass Mail Art begann, als sich Kleopatra eingerollt in einen Teppich in die Gemächer Cäsars liefern liess. Die New York Correspondence School geht auf Ray Johnson zurück, der in den 1950er Jahren ein informelles, hybrides Netzwerk von Freunden, Bekannten und Fremden aufbaute, mit denen er auf dem Postweg Ideen und Kunstwerke austauschte. Als sich 1962 seine Organisation „New York Correspondence School“ nannte, ist sie bereits zum Kommunikationsnetz geworden, das später den ganzen Erdball umspannen wird. Ray Johnson erkannte als erster, dass die Übermittlung von Kunstwerken und Notizen eine eigene Kunstform darstellt. Indem Johnson dem Empfänger klare Instruktionen gibt („please send to“ oder „please add and return to“) offenbart sich die hierarchisch geführte Vereinigung, wobei das Kunstwerk selbst im Kontext demokratisiert, Zufallsoperationen einen grossen Stellenwert eingeräumt und die Autorenschaft in Frage gestellt wird. Der Wandel, der sich von einer interaktiven Kommunikation (Correspondence Art) hin zu einer einseitigen Kommunikationsform ohne Anspruch auf Antwort (Mail Art) vollzieht, wird durch die künstlerische Praxis der Fluxus-Bewegung begünstigt. Fluxus begriff, dass das Postsystem ein weltumspannendes und kosteneffektives Verteilersystem ist. Es ist im Gegensatz zur elitären Museumsszene offen, wertungsfrei und kann alle erreichen. Dadurch begünstigt, wurde Mail Art in repressiven Staaten zum Ausdruck einer subversiven Praxis gegen einen totalitären Machtanspruch.
In den 1970er und 1980er Jahren wurde ein neuer Aspekt innerhalb der Mail Art sichtbar: Ein Wandel vom Netzwerk hin zur Gemeinschaft, die das Netzwerk als menschliches Phänomen wichtiger als Kunst sieht. Die Kunstform hat dabei längst ihren Eintrag in die Kunstgeschichte erhalten.
Die Ausstellung ist nicht als summarische Gegenüberstellung unterschiedlicher Entwicklungen und Handhabungen zu verstehen, sondern vielmehr als Mix aus Arbeiten seit den 1960er Jahren bis heute, die zum Teil exemplarisch zur kunstgeschichtlichen Referenz geworden sind. Allen gemein ist ihr Resultieren in ein Objekt, das im Ausstellungskontext an neuer Bedeutung gewinnt. Der Betrachter als jetziger Empfänger der Botschaft wird zum Zeugen einer einst privaten Kommunikation, in der durch deren Vervielfältigung die Öffentlichkeit vom Künstler bereits einkalkuliert ist.
So zum Beispiel im Beitrag von Dieter Roth (1930–1998) Beitrag für The Archives - Art Information Centre Peter van Beveren, einem Künstlerbuch mit Graphiken, Reproduktionen, Fotos und Collagen verschiedener Künstler, das 1981 in einer Auflage von 500 anstelle eines Kataloges zur gleichnamigen Ausstellung erschienen ist. Dieter Roth offenbart in einem Brief an Peter van Beveren: „da wenig Kraft und wenig Zeit, nur dies“, der kurzerhand als eigentlicher Beitrag für das Buch dient. Peter van Beveren, der in den frühen 1970er Jahren ein Mail Art Archiv aufbaute, konzipierte die Ausstellung für das Provincial Museum in Hasselt, Belgien. Für das Buch lud er 30 für sein Archiv wichtige Künstler ein, jeweils eine Seite des Buches zu gestalten.
Eine kunsthistorische Referenz für den kostengünstigen und direkten Vertrieb von Kunstwerken via Postversand, der die kommerziellen Galerien umging, ist die 1968 von William Copley und Dmitri Petrov ins Leben gerufene Zeitschrift SMS (Abkürzung für „Shit Must Stop“). Wobei hier das Magazinformat an seine Grenzen gebracht wird. Jede Ausgabe vereint gleichermassen Werke prominenter wie unbekannter Künstler, die alle für ihren Beitrag dasselbe Honorar über USD 100 bekommen haben. Den beiden Herausgebern gelang es unter anderem Künstler wie Man Ray, Meret Oppenheim, Marcel Duchamp, Yoko Ono, John Cage, Christo, Richard Hamilton oder Roy Lichtenstein für ihr kurzlebiges Projekt zu gewinnen. Von Februar bis Dezember wurden alle zwei Monate sechs Ausgaben in einer Auflage von ungefähr 2000 Exemplaren herausgegeben. Eine Box umfasste rund 12 Kunstwerke, die aufwendige „Original-Reproduktionen“, also exakte Wiedergaben der künstlerischen Beiträge, in fast jedem Medium zu einem erschwinglichen Preis von USD 125 pro Abonnement bot.
Das 1985 begonnene Mail Art Projekt von Ryosuke Cohen (*1948) vermag es ebenso, eine Künstlergemeinschaft sichtbar zu machen. Dazu ruft er einzelne Kollaborateure dazu auf, ihm Stempel, Aufkleber, Stempel-Designs oder Siegel per Post zu schicken. Cohen fügt das Erhaltene zu einer Collage auf einem A3-Papier zusammen, von der er jeweils 150 Blätter druckt. Jeder Teilnehmende erhält einen Druck zusammen mit der Liste aller anderen Teilnehmenden. Titelgebend sind die Gehirnzellen, die für Cohen unter dem Mikroskop gesehen wie das Mail Art Netzwerk aussieht.
Die öffentliche Anteilnahme an einer ursprünglich privat adressierten Nachricht wird in der Graphik „Yes, I remember“ von Emmett Williams (1925–2007) zur liebevollen und leisen Hommage an seinen kurz zuvor verstorbenen Künstlerfreund Dieter Roth. Dieser schickte 1997 Williams eine Kopie aus seinem Notizbuch von 1967, mit dem darauf handschriftlich vermerkten Kommentar, ob er sich an die beiden Limericks erinnere, die er wohl in New York in sein Notizbuch geschrieben hatte. Williams antwortete in einer Auflage von 100 im Jahr 2000 „Yes, I remember“.
Eine weitere Kollaboration zweier Künstler resultiert in der 2017 erschienenen Arbeit von Micah Lexier (*1960) und Jonathan Monk (*1969). Die Edition An envelope by Micah Lexier inside an envelope by Jonathan Monk / An envelope by Jonathan Monk inside an envelope by Micah Lexier besteht aus jeweils einem Set versiegelter Umschläge, in denen sich der signierte, datierte und nummerierte Umschlag des anderen Künstlers befindet. Zudem erschien die Edition in zwei Versionen, die den jeweiligen Aufenthaltsort beider Künstler berücksichtigt (Toronto, Berlin): eine mit Umschlägen in US-Standard-Grösse, der andere in EU-Standard-Grösse. Mit dieser Arbeit wird die enge Zusammengehörigkeit beider Korrespondenten wie auch der Reiz um den versteckten Inhalt, der sich erst mit dem Öffnen des Umschlages offenbart, verdeutlicht.
Die gerollte Schallplatte von Hans Köhler (1922–2011) zeugt von einer Zeit, in der die Post weniger strikt reguliert war und Objekte unverpackt versendet werden konnten. Auch der Versand der Holz-und Filzpostkarte von Joseph Beuys passiert die heutigen automatisierten Förderbänder nicht und muss wieder manuell verarbeitet werden. Bei beiden Exemplaren handelt sich um eine Edition, die Beuys 1974 zusammen mit seinem Heidelberger Herausgeber Klaus Staeck entwickelt hatte. Sie gehören einer kleinen Gruppe von Postkarten an, für die der Künstler unkonventionelle Materialen wie zum Beispiel Holz und Filz wählte und mit denen er spezifische symbolische Bedeutungen verband. So verleiht die Materialwahl der Postkarte bei Versand die zusätzliche Funktion, die zum Beispiel im Holz gespeicherte Energie sowohl dem Sender wie auch dem Empfänger weiterzugeben.
Mit dem Versand einer Holzpostkarte, die Jenny Holzers (*1950) Truism trägt, wird eine direkt an den Empfänger adressierte spruchartige Nachricht überbracht, die Holzer ursprünglich für den öffentlichen Bereich konzipiert hatte. Dabei ist Holzers Absicht stets das Anregen einer öffentliche geführten Debatte durch die Wahl geeigneter Kommunikationsmittel. Die Truisms sind Aphorismen oder Sprüche, die Klischees oder allgemein gehaltene Wahrheiten verwenden. Ihre Truisms sind u. a. auf LKW-Planen, T-Shirts, Steinbänken oder Baseballcaps wiederzufinden. Holzer benutzt den Satz All things are delicately interconnected bereits seit den späten 1970er, anfangs 1980er Jahren in unterschiedlichem Kontext, als ihre Truisms auf der elektrischen Anzeigetafel über dem Times Square zu sehen waren. Zuletzt verwendete sie dieses Truism für ihren künstlerischen Beitrag zum Earth Day 2020.
In einem ganz anderen Kontext wird der Betrachter Zeuge einer Instrumentalisierung des Postversands als integraler Bestandteil einer künstlerischen Strategie. Von Zeit zu Zeit sendet Mandla Reuter (*1975) Briefe von überall her an sein Stück Land in Los Angeles in den USA (330 Waldon Place). Da das Grundstück weder Haus noch Strasse besitzt, können diese nicht zugestellt werden. Sie werden von der Post an den Absender zurückgeschickt, wodurch die Frage nach der Realität der Existenz des Stücks Land aufkommt.
In Mitchell Andersons (*1985) Werk Passion Piece sind sowohl der Absender, als auch Empfänger fiktiv. Für dieses bediente sich Anderson einer Filmrequisite aus Legenden der Leidenschaft. In dem 1994 gedrehten Film mit Brad Pitt und Julia Ormond geht es um eine tragische Dreiecksbeziehung zwei sich rivalisierender Brüder und einer Frau. Tristan (Brad Pitt) ist nach seinem freiwilligen Einzug in den ersten Weltkrieg ein gebrochener Mann und bittet in seinem Brief an Susannah (Julia Ormond) darum, dass sie einen anderen Mann heiraten solle. Als Susannah, die insgeheim Tristan liebt, den Brief liest, wird ihr bewusst, dass ihr Leben nie wieder richtig verlaufen wird.
Wie Anderson verwendet Dhan Vo (*1975) vorgefundenes Material, das er durch Aneignung in einen anderen Kontext bringt. Mit 2.2.1861 wird ein historischer Moment immer und immer wieder reproduziert, in dem der Künstler seinen Vater einen Brief des französischen Missionars Jean-Théophane Vénard auf Bestellung abschreiben lässt, der wiederum darin seinen Vater über die bevorstehende Hinrichtung in Vietnam berichtet. Durch die einfache Form der Übertragung ruft diese Arbeit die koloniale Vergangenheit von Vietnam in Erinnerung und auf einer mehr persönlichen Ebene beleuchtet sie zwei Vater-Sohn-Beziehungen. Jeder Kauf aus der offenen Edition resultiert in der erneuten Abschrift des Briefes und dem Versand direkt an den Käufer, der zum Aktivator und Empfänger der unheilvollen Botschaft wird. Die Edition endet mit dem Tod des Vaters des Künstlers.
Vanja Hutter (*1987) bedient sich der Briefform, um mit ihrer Arbeit 27 Versuche zu betreffen den Betrachter zur direkten Interaktion aufzurufen, indem er einen auf sich zutreffenden Umschlag öffnen muss, um die darin verborgene Botschaft zu erhalten. Sie enthält unter anderem eine von Hand geschriebene oder gezeichnete Mitteilung oder Frage. Die Couverts sind adressiert mit: An die Unvorbereitete, An die Wankende, An den Pünktlichen, An die Wartende und An den Übenden. Die im Vorfeld zu dieser Arbeit entstandene Publikation Briefe lotet den Brief und seine Möglichkeiten aus. Inhaltlich knüpft sie an die Brieflehre an, die in Musterbeispielen formale Anleitung zum Verfassen einer situativen Nachricht behandelt. Dabei erstellt Hutter fiktive Briefgattungen, die einen neuen Vorstellungsraum eröffnen und weitere Inhalte zulassen.
In den Werken von Eddie Hara (*1957) spielen Briefumschläge insofern eine Rolle, indem sie als Träger für eine Zeichnung oder Collage eine neue Funktion erfüllen und dabei die alte tradieren. Das Adressfeld oder Eigenschaften des Couverts werden in das Werk integriert und mitunter zu einer neuen Aussage in einem durch die künstlerische Intervention verschobenen Kontext erhoben. Für seine 1998 begonnene Postcards from the alps series benutzt er meist einen Umschlag im schweizerischen Standardformat B5 als Zeichenpapier, der als Ansichtskarte aus seiner zweiten Heimat Schweiz agiert. Ursprüngliche Absender können Schweizer Institutionen oder Personen sein, aber auch Freunde, die der Künstler um Post aus dem Ausland gebeten hat, oder der Künstler selbst. Die comicartigen und humorvoll gehaltenen Figuren kommentieren aktuelle Ereignisse aus Politik, Umwelt und Religion oder kanalisieren seine persönlichen Eindrücke und Erlebnisse als Einwanderer. Sein charakteristischer Duktus wurzelt in den späten 1980er Jahren, als er einen neuen Malstil innerhalb der indonesischen Geschichte der traditionellen Malerei etablieren konnte. Dabei gelang ihm eine individuelle Mischung aus westlicher Moderne, Comic und Street Art.
Zur Ausstellung erscheint ein von Mitchell Anderson gestaltetes Fanzine.
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Marc Elsener
Inigo Gheyselinck
Hannah Raschle
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Domingo Chaves
Das derartige Portieren in einen anderen Zusammenhang bringt zwar einen Verlust der direkten sinnlichen Qualität des Blattes mit sich, wertet dieses aber gleichzeitig auf: Durch die Einspeisung in den Kunstkontext wird aus dem kostengünstigen ein kostbares Material. Das Resultat ist ein komplexes Werk, welches mit seiner undefinierten Mehrdeutigkeit zwischen Gemälde, Installation und Wandobjekt oszilliert. Die mechanisch zugeschnittenen Blattmodule mit ihren Blattadern und Stielresten sprechen nun ihre eigene Bildsprache und bilden aneinandergereiht einen eigenen Bedeutungszusammenhang. Nicht nur das fragile unbehandelte Ausgangsmaterial, sondern auch der Einsatz von Tape bringt einen aus konservatorischer Sicht ungewissen Ausgang mit sich. Im Gegensatz zum Papyrus, bei welchem der Träger für eine längstmögliche Haltbarkeit präpariert wird, wird hier das zerbrechliche Material bewusst seinem Zerfall ausgesetzt. Das Austrocknen, Abbröckeln und Ausbleichen gehören hier zur künstlerischen Strategie. Ein ungewöhnlicher Ansatz, da die künstlerische Handschrift, der malerische Gestus, gewollt verschwinden wird.
Was in der Natur Entstehen, Werden und Wachsen war, wird hier in seiner Überführung ins Gegenteil verkehrt. Dieser künstlerische Modus Operandi treibt gleichzeitig den Kunstkontext ad absurdum: Der private oder öffentliche Wunsch zu sammeln und zu bewahren, aber auch die Handhabung des Kunstmarkts, mit der Verkäuflichkeit eines Werkes zu arbeiten, wird durch das unweigerliche Verschwinden des Kunstwerkes unterhöhlt. Überdauern wird nur das industriell hergestellte günstige Trägergerüst. Der subtile Zerfallsprozess kann selbst während der Ausstellungsdauer beobachtet werden – jeder Moment des Betrachtens ist somit einmalig.
Chaves hielt sich diesen September im Rahmen eines einmonatigen Atelierstipendiums in Tusheti, im nordöstlichsten Teil Georgiens, auf. Dieser abgelegene Gebirgsort voller Geschichte und Mystik inspirierte Chaves zu neuen Arbeiten, die nun zum Teil ihren Weg in die Ausstellung finden.
Zur Ausstellung erscheint ein Fanzine.
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Hannah Raschle
Die Linie führt sie dieses Mal nicht in eine surreale, narrative Welt voller tatstarker Gestalten, sondern direkt in die lange Historie der Wasserdarstellungen in der Kunst. Ausgangspunkt ist eine Postkarte, die den Lago Maggiore eingebettet in seiner floralen Umgebung zeigt.
Diese Ansicht eröffnet das Feld für Raschles Interessenfokus auf Ausschnitte, die die eigentliche Darstellung von Wasser zeigen. Dabei aussen vor gelassen sind narrative Bildelemente wie Ufer, Lebewesen oder nautische Errungenschaften. Die Beliebtheit des Wassers als Motiv in der Kunst liegt einerseits an seiner existenziellen und kulturellen Bedeutung und anderseits an seiner physischen Eigenschaft. Das Wasser ist ein wandlungsfähiges Material mit zahlreichen gestalterischen Möglichkeiten. Es zieht sich wie ein roter Faden durch alle Kunstepochen. Davon zeugt das im Internet vorgefundene digitale Material zu diesem Thema, welches sich Raschle für diese Arbeit angeeignet hat. Entstanden ist eine Ansammlung repräsentativer Abbilder, die alle von der Suche nach Darstellungsformen des Wassers handeln. So finden sich ikonenhafte Werke aus der Kunstgeschichte v.a. des 19. Jahrhunderts, neben professionellen Fotografien ohne künstlerischen Anspruch wieder. Sie alle sind Testimonien der verschiedensten Versuche, das sich ständig verändernde und bewegte Element zu einem Bild erstarren zu lassen. Raschle illustriert dies, indem sie den Risographen wie schraffierende Buntstifte für sich einsetzt und zeichnen lässt. Der dabei gezeigte Ausschnitt wird mal durch manuellen, mal durch den digitalen Zuschnitt in Photoshop erzielt.
Das von der japanischen Firma Riso in der Mitte der 1980er-Jahre entwickelte Schablonendruckverfahren verwendet pigmentähnliche dichte Tinte, die auf Sojaöl basiert. Ihre Beschaffenheit ermöglicht lasierende Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Druckdurchgängen. Die spezielle Drucktechnik erlaubt eine gleichzeitige Wiedergabe mehrerer Farbeindrücke und eine schimmernde Überlagerung von Augenblicken.
Raschles künstlerische Erkundung durch Appropriation ist eine doppelte Annäherung an das Thema. Gerade die Wahl von kunsthistorisch bedeutsamen Werken vorwiegend aus dem 19. Jahrhundert trifft zwei verschieden verzweigte Hauptnerven: einerseits die unendlichen Möglichkeiten der Abbilder, die die Wasseroberfläche als bildgebendes Verfahren erzeugt und andererseits die Entwicklung hin zur Abstraktion des Motivs. Gustave Courbets Gemälde einer Woge als eine der Vorlagen für Raschles Werkabfolge offenbart, dass es sich bei der noch so getreuen Wiedergabe der erfahrbaren Wirklichkeit stets um etwas Ephemeres, Flüchtiges, um einen Augenblick handelt, der bereits nach dem nächsten Augenaufschlag seine Endgültigkeit verloren hat. Courbet malte die tosende Welle zwischen 1865 und 1870 rund 60 Mal.
Im 19. Jahrhundert beginnt mit Caspar David Friedrich die Entwicklung weg von der klassisch durchkomponierten Landschaftsmalerei hin zu ihrer Abstraktion gemäss der eigenen Vorstellung. Besonders in der Landschaftsmalerei der Romantik nimmt das Wasser eine wichtige Stellung ein. Es gleicht der menschlichen Seele und dient als Metapher des menschlichen Daseins.
William Turner und Claude Monet läuten schliesslich den Abstraktions- prozess gegen Ende des 19. Jahrhunderts ein, der sich bis hin zu Gerhard Richters Seestücken im 20. Jahrhundert vollzieht. In diesen werden nach und nach jede Art von menschlicher oder dinglicher Anwesenheit aus der Meeresdarstellung ausgeblendet. Das Wasser tritt in der reinen bildlichen Umsetzung seines Naturphänomens als Experimentierfeld für den Einsatz von Farbe in Erscheinung, die es nicht mehr zur Aufgabe hat, das bildgebende Sujet zu imitieren.
Durch die durch Raschle errungene einheitliche Bilderfahrung rückt die Naturerfahrung in den Hintergrund. Die digitale Verfremdung der Vorlage löst diese aus ihrem Intentionskontext und überführt sie als sequenzielle Kunstwerke in einen neu geschaffenen, comichaften Raum.
Zur Ausstellung erscheint ein einfarbig, im Risodruckverfahren gestaltetes Fanzine in einer limitierter Auflage von 60 Exemplaren.
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Marc Elsener
Marc Elsener malt hauptsächlich. Am liebsten kleinformatig und mit Ölfarben. Grösstenteils verwendet er hierfür zugeschnittene Holzplatten, auf denen er über längere Zeit komponiert. Immer, wenn er daran arbeitet, wird das Datum zur Dokumentation auf der Rückseite festgehalten. Meist sind dies 10 bis 20 Werke gleichzeitig. Von einer Idee angetrieben, muss diese möglichst schnell umgesetzt werden. Vielfach verwendet Elsener ein Vergrösserungsglas, um das, was er malen möchte wortwörtlich unter die Lupe zu nehmen. Für die ganz feinen Linien hält schon einmal eine Fischgräte her. Zum Schluss folgt das Enddatum und der Titel. Vielfach auf Englisch, denn Elsener hat auch englische Wurzeln.
Ausgangspunkt für viele seiner Gemälde ist ein imaginärer Raum ohne Zivilisation. Er ist der Rahmen und Garant eines gewissen Kontinuums. Die Landschaft ist dabei mal mehr oder mal weniger flach. Mal ist die obere Kante die Begrenzung des Himmels, mal wird ohne zu zögern die abgesplitterte Holzplatte als Berggipfel in die gemalte Landschaft integriert. Das ist die Kulisse für Elseners Figuren. Diese bewegen sich in der manchmal lebensfeindlichen Umgebung wie selbstverständlich. Immer wieder sind die dargestellten Menschen splitternackt und folgen ihrem, in der Schöpfungsgeschichte manifestiertem, Urtrieb, sich wie Gott sie geschaffen hat in der Landschaft aufzuhalten.
Im Gemälde Evolution of our Mind (Dichtestress) (2019) brechen ein Mann und eine Frau, nur mit einem Smartphone bekleidet, durch die Erde hindurch, halten ihr Gerät auf einen grossen mobilen Swimmingpool, wie er in einem jeden Garten aufgestellt werden kann. Über dem Wasser des Pools ist ein Regenbogen zu sehen und der Schriftzug Absolutely Nowhere. Überall prangen die technischen Errungenschaften der automatisierten Beobachtung: Überwachungskameras, Drohnen, bis hin zu Satelliten, die sich auf gerade diesen Ort richten. Selbst das heitere Nirgendwo wird öffentlich beobachtet und privat dokumentiert. Die Szenerie wird feierlich durch eine Blättergirlande eingerahmt.
Durch Elseners Codierung der Landschaft und ihre Funktion als Bühnenbild für den Ausdrucksreichtum einer inneren Welt, liegt der in der Literatur immer wieder getätigte Vergleich nahe, Hieronymus Bosch oder Joachim Patinir als Vorläufer in der kunsthistorischen Tradition der Landschaftsmalerei zu sehen. Wie bei Bosch versammeln sich in den Werken Elseners gleichzeitig Figuren und Fabelwesen, angereichert durch ungewöhnliche Bildelemente, die durch die unterschiedlichen Wendungen in der Lesbarkeit oft einen eindeutigen Deutungszusammenhang offen lässt. Auch bei Patinir ist die Landschaft eine phantastische Kulisse, die er nicht in der Natur, sondern anhand verschiedener Hilfsmittel - wie Gesteinsbrocken für gemalte Felsformationen - im Atelier studierte. Bei Patinir steht die Landschaft im Mittelpunkt, wobei die darin staffierend narrativ eingesetzten Figuren teils verschwindend klein dargestellt sind.
Tatsächlich ist die Auseinandersetzung mit dem Reich der Mythen, Traditionen und Fabeln für Elsener höchst spannend. Das Urtümliche reisst in ihm einen Raum auf, in dem er sich wohl fühlt. Davon zeugen einzelne Bände seiner vielfältigen Lektüre auf dem Bücherregal seines Ateliers: Atlas der Fabelwesen, Alchemie & Mystik und Folter, Pranger, Scheiterhaufen: Rechtssprechung im Mittelalter. Aber auch eine Publikation über Scherenschnitte und Malerei am Säntis. Dieser breitgefächerte intellektuelle Hintergrund spielt in die Werke Elseners ein. Ein Clash zwischen überlieferten Geschichten und der Absurdität heutiger Kulturen, vereint im Tagtraum einer Bildtafel.
So ist das Einhorn ein Element, das in diversen Situationen seit November 2017 in Elseners Werken immer wieder vorkommt. Im Sommer desselben Jahres hat eine Invasion riesiger, aufblasbarer Einhornluftinseln die Zürcher Badeanstalten bevölkert. Fabelwesen, ein bisschen kommerzialisiert, verniedlicht und massentauglich gemacht. Elsener greift als Vorlage für Weltfremde Vereinsamung (2018) auf Plüschtiere zurück, die im Zuge einer Sammelaktion eines schweizer Grossverteilers an Kunden abgegeben worden sind. Die Tierchen halten kurzerhand für die Bildidee des Künstlers her, den russischen Wolf im Vollmondlicht die LGBT-Bewegung (Plüschtier mit Regenbogenfarben und Einhorn versehen) liebkosen zu lassen.
Die beiden Collageserien Urlaub im eigenen Garten und Wohn- und Spielträume widerspiegeln die Faszination der Künstlers für andere Kulturen. Sie entstammen beide einer intensiven Schaffensphase, die durch die bevorstehende Geburt seines ersten Kindes im Jahr 2012 ausgelöst wurde. In ihnen eröffnet sich eine weitere Ebene skurrilen Humors, durch welchen Schwerkraft, Grössenverhältnisse und räumliche Distanz ausser Gefecht gesetzt werden. Aufblasbare Gartenpools mitsamt darin planschenden Menschen finden sich plötzlich neben in Stein gehauenen prähispanischen Skulpturen im Urwald Kolumbiens wieder. Oder der mobile Geräteschuppen aus dem Baumarkt, als gestapelte Krönung des Türsturzes einer peruanischen Inkaruine. Die Collagen muten nun wie Schautafeln an, die die Existenz alternativer Kulturen belegen.
Elsener greift für seine Werke auch auf Bildtypen aus der Tradition der Volkskunst zurück. Seine Votivbilder sind moderne Allegorien, die vom Pinselwitz des Malers zeugen. Das Votivbild ist per Definition ein Gegenstand, den ein Mensch als Einlösung eines Versprechens (EX VOTO was soviel bedeutet wie „auf Grund eines Verlöbnisses“) vor allem als Zeichen des Dankes für die Rettung vor einem Unglück, aber auch als Bitte um Erlösung aus einer Notlage - an Wallfahrtsorten opfert.
Im Gemälde Ich wett ich hett es Hippie-Bett (2019) bittet ein gut gekleideter, wohlhabender und erfolgreicher Mann innbrünstig um ein Hippie-Bett. Materieller Reichtum kann keine immaterielle Freiheit erkaufen. Der Titel ist eine Anspielung auf den legendären Slogan "I wett i hett es happy-Bett“. Seit 1983 haben die Figuren in den Werbespots von happy-Betten nur diesen einen Wunsch.
Der dabei als Kompositionselement gezeigte Mond ist ein Versatzstück in Elsener Werken. Hier wird er Pfeife rauchend als Frau Holle dargestellt und schüttelt ein bisschen Schnee in die Szenerie ein. Die Wiedergabe des „Mann im Mondes“ geht auf eine Passage in Jugend ohne Gott von Ödön von Horwath zurück, die Elsener geblieben ist: „Es gibt einen Mann im Mond, fällt es mir plötzlich ein, der sitzt auf der Sichel, raucht seine Pfeife und kümmert sich um nichts. Nur manchmal spuckt er auf uns herab. Vielleicht hat er recht.“
Zur Ausstellung erscheint ein Fanzine.
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Inigo Gheyselinck
Gheyselinck untersucht in seinen Werken die visuelle und räumliche Beziehung von zwei- und dreidimensionalen Repräsentationsformen. Die Zeichnung oder das Gemälde kann ebenso zur Skulptur werden, die Skulptur zum Porträt, das Material selbst zum eigentlichen Objekt.
Der Künstler studierte an der Florence Academy of Art. Die Schule geniesst weltweit einen ausgezeichneten Ruf, da sie die grundlegenden Techniken der Malerei, wie aber auch der Zeichnung und Bildhauerei analog der Technik der alten Meister vermittelt. Sie orientiert sich mit ihren Unterrichtsinhalten vorwiegend an der Pariser Ecole des Beaux Arts des 19. Jahrhunderts. Gheyselinck unterwarf sich zunächst dem minutiösen Training der Bildhauerei, um sich dann vermehrt der Malerei und Zeichnung zuzuwenden.
In einer ersten Schaffensperiode steht der menschliche Körper im Zentrum. Die genaue Beobachtung des Dargebotenen führt zunächst zu einer scheinbar authentischen Darstellung des Gesehenen. Dabei bleibt das Motiv nicht selten unvollendet, angedeutet - die Leerstellen auf dem Papier werden Teil der Komposition. Oder wie es Gheyselinck selbst formuliert: „Wie kann die richtige Anzahl Graphit auf der richtigen Stelle auf einem Stück Papier den menschlichen Körper authentisch wiedergeben?“ So wirken diese frühen Werke auf den ersten Blick zeitlos anachronistisch, ein Werk im Spannungsfeld zwischen gestern und heute.
Auch in der neuen Serie von Fischzeichnungen - Gheyselinck wendet sich zum ersten Mal dem Tierkörper zu - ist der Ausgangspunkt die authentische Wiedergabe des Tieres mit klar umrissenen Körperlinien, die sich jedoch im nächsten Moment in Farbe auflösen. Dabei dienen dem Künstler sowohl Naturstudien, wie auch digitales oder analoges Bildmaterial als Vorlage. Die Bleistiftzeichnung wird mit Tusche angereichert und mit weisser Acrylfarbe gedeckt. Dadurch entstehen visuelle Anleihen an den abstrakten Expressionismus De Koonings. Diese verschwommenen Bereiche, in denen nur noch Spuren des Dargestellten auszumachen sind, nennt Gheyselinck „Index“, womit er der Frage nachgeht, wieviel Information zur Wahrnehmung benötigt wird, um das Gezeigte identifizieren und benennen zu können. Die Arbeit auf Papier ist jedoch nur eine Repräsentationsform, die ebenso in Beziehung zur dreidimensionalen Lösung „Skulptur“ gesetzt werden kann.
Gheyselinck wurde 2017 vom Bundesamt für Umwelt BAFU im Rahmen der Kampagne #Woodvetia damit beauftragt, lebensgrosse Figuren bedeutender Schweizer Persönlichkeiten aus der Holzart herauszuarbeiten, die aus der Herkunftsregion und Zeit der jeweiligen Person stammt. „Hierfür wurden die ausgesuchten Bäume gefällt, das Holz wurde in Kanthölzer gesägt, getrocknet, verdübelt, gehobelt, verleimt, CNC-gefräst und nachträglich manuell geschnitzt und geschliffen. Als Vorlage haben 3D-Scans der aus Ton modellierten Porträts und der epochenspezifischen Kostüme gedient.“ (Gheyselinck) So verwendete er z.B. für Gottlieb Duttweiler eine 100 Jahre alte Eibe von „Duttis" Hausberg, dem Uetliberg.
Die nicht verwendeten, unterschiedlichen Holzstücke bildeten die Grundlage für die Playwoods. „Holz in seiner Essenz ist reich an Zeichnungen und Mustern.“ (Gheyselinck) Mit den Playwoods bringt Gheyselinck spielerisch Holzstücke zusammen, die die darin innewohnende Ästhetik aller Kreationen durch einen präzise eingefangenen Augenblick sichtbar machen lässt. Es entstehen Objekte, die aufgrund des organisch strukturierten Materials neue, vermeintlich anatomisch nachvollziehbare Kompositionen zeigen. Analog der Pareidolie ist man dazu geneigt, im Querschnitt durch Astknospen Augen oder in spitz zulaufenden Stücken Mundpartien oder tierische Mäuler zu sehen, die unser Gehirn zu einem Antlitz zusammenfügt.
Was bei #Woodvetia die Erweiterung der klassischen Bildhauerei durch modernste Technik wie CNC-Fräse oder 3D-Scans bedeutet, ist in der Anordnung der Playwoods eine rein manuell ausgeführte Arbeit in der Tradition des surrealistischen Spiels mit dem Zufall - eine Art Collage im Geiste des Cadavre Exquis.
Auch in dieser Werkgruppe geht Gheyselinck der menschlichen Wahrnehmung nach, denn Wahrnehmen bedeutet ja nur, das Filtern und Zusammenführen von Teil-Informationen zu subjektiven Gesamteindrücken, die mit gespeicherten Vorstellungen abgeglichen werden. Ihm gelingt es also, durch gezielte Steuerung unserer Aufmerksamkeit, unsere Wahrnehmungsstrategie zu verändern, wobei die gewählte Darstellungsform uns über das Dargestellte hinauszuführen vermag. Sie bildet auch hier nur einen möglichen Kristallisationspunkt eines Motivs, das einer ständigen Metamorphose unterworfen ist.
Zur Ausstellung erscheint ein Fanzine.